Nachdem das Fach ‚Politische Bildung‘ in der Mittelstufe in Berlin wieder einen größeren Stellenwert erlangt hat, da es nun gesetzlich mit einer Unterrichtsstunde pro Woche in der Stundentafel verankert wurde, löst sich die von Schüler*innen gegründete Initative „Politik als Schulfach – Initiative für politische Bildung an Schulen“ auf. Sie verabschieden sich auf Facebook mit folgender Stellungnahme, in der auch wir mit freundlichen Worten bedacht werden:

„Nach 9 Jahren löst sich die „Politik als Schulfach – Initiative für politische Bildung an Schulen“ auf. Wir, die (ehemaligen) Mitglieder möchten ein Gesamtfazit ziehen und auf ein erfolgreiches Projekt zurückschauen.

Die Berliner Initiative „Politik als Schulfach“ ist sehr erleichtert, dass das Fach „politische Bildung“ in der Mittelstufe (von den Klasse 7 bis 10) nun endlich wieder gesetzlich mit einer Schulstunde pro Woche unterrichtet und verbindlich eigenständig benotet wird. Damit wird Politk nicht erst freiwillig im Kurssystem der gymnasialen Oberstufe gelehrt, wodurch der Unterricht nun endlich der Relevanz der politischen Bildung ungeachtet des angestrebten Schulabschlusses gerecht wird. Die bislang elitäre Stellung des Faches wird bedeutend reduziert.

Über diesen Erfolg hinaus sind dennoch alle politischen Akteur*innen aufgefordert, in einem dynamischen Prozess das Fach Politik an Berliner Schulen für eine Politisierung der Gesellschaft zu verbessern. Dazu zählt neben inhaltlichen Aspekten auch eine Einbindung von politischen Grundlagen in der Grundschule. Dazu kann eine Implementierung der U18-Wahlen in die Lehrpläne ein wichtiger Schritt sein. Denn auch bundesweit gibt es noch Defizite in der politischen Bildung an Schulen. Bewegung „Fridays For Future“ verdeutlichen, dass Politik keine den Kindern ferne Angelegenheit ist, sondern es berührt jeden Menschen unabhängig vom Alter. Daher ist es die unbedingte Aufgabe der Schule, diese Berührpunkte sachlich, mit einem Fach politische Bildung sowie zusätzlich fächerübergreifend zu begleiten.

Auf die Gründe, weshalb ein solches Fach von dem der alten „Staatskundeunterricht“ dringend abzugrenzen ist, wollen wir nur verkürzt eingehen. In unseren Positionspapieren haben wir häufig auf die Forschungsergebnisse von Prof. Achour hingewiesen, die unsere eigenen Umfragen bestätigten.
Die Kurzfassung ist die Folgende: Politik als Schulfach fördert die Teilhabe von allen Schüler*innen am gesellschaftlichen Leben nach der Schule und kann dafür sorgen, dass Politik nicht nur als „Eltitenfach für Abiturient*innen“ gesehen wird, sondern jede*r daran Spaß haben kann. Desweitern kann Politik als Schulfach zur Vermeidung von extremen gewaltbereiten, menschenrechtsverletzenden und populistischen Gesellschaftsspaltungen dienen, da es ermöglicht außerhalb des Elternhauses über sensible Themen in einem neutral geführten Unterricht zu sprechen.

Rückblick und Eindrücke 2010-2019

2010-2013
Die Initiative entstand in Steglitz-Zehlendorf. Umfragen unter Schüler*innen lieferten das Ergebnis, dass viele von ihnen keinen Zugang zu Themen wie dem Unterschied von Erst- und Zweitstimme besaßen. Damals war in Folge der G8-Änderungen die Stundenanzahl von Geschichte und Sozialkunde von 3 auf 2 Wochenstunden gekürzt worden. Dies hatte zur Folge, dass das Drittel, welches für Sozialkunde („Politik“) verwendet werden sollte, aufgrund des Umfangs von Geschichte im Unterricht zu kurz kam. Zusätzlich bestand das Problem, dass viele Lehrkräfte nicht für den Politikunterricht geschult waren. Aufgrund dieser Entwicklung trafen sich die ersten Mitglieder unserer Initiative und stellten die Forderung nach einem eigenständigen Fach Politik auf. Als erster Schritt sollte eine eigene Benotung des Politikteils im Fächerverbund Geschichte/Sozialkunde dienen. Mit Vorträgen und Workshops erregtem wir schnell Aufmerksamkeit. Wir gewannen einen Demokratiepreis der Friedrich Naumann Stiftung und erhielten Unterstützung im Abgeordnetenhaus Berlin, sodass im Bildungsausschuss folgend auf eine Anfrage des Abgeordneten Martin Delius die getrennte Benotung von Geschichte und Sozialkunde versprochen wurde.

2013-2016
Nachdem viele Mitglieder der „Ersten Generation“ der Initiative „Politik als Schulfach“ 2013 ihr Abitur machten, kam eine zweite Schüler*innengeneration zum Zuge. In Personalunion mit dem LSA Berlin (Landesschülerausschuss Berlin) verstärkten wir In den folgenden Jahren den Austausch mit politischen Institutionen und begleiteten die Debatte um die Rahmenlehrpläne intensiv. Wir lernten dabei auch, mit Rückschlägen umzugehen. So traten wir trotz der Erkenntnis, dass wir sowohl die getrennte Benotung, als auch ein eigenständiges Fach Politik in unserer eigenen Schulzeit nicht mehr erleben würden, kontinuierlich für unser Anliegen ein. Wir konnten Beschlüsse der Bundesschüler*innenkonferenz mitprägen, die eine gezielte Förderung von Politik als Schulfach vorsahen. Im Wahlkampf für das Abgeordnetenhaus 2016 konnten wir beim Jugendforum Berlin allen Parteien, die bis dahin im Abgeordnetenhaus vertreten waren, das offene Versprechen abgewinnen, dass mit ihnen Politik als eigenständiges Schulfach Realität werden sollte.

2016-2018/2019
Nach der Wahl kam es dann zu einem Koalitionsvertrag, der ein eigenständiges Fach vorsah. Mit dem LSA Berlin, wurden auch Mitglieder unserer Initiative eingeladen, bei den Diskussionen über die Umsetzung am Verhandlungstisch mitzuwirken. Wir gaben weiterhin Seminare und Workshops über Politik als Schulfach und traten für dieses Ziel bei zahlreichen weiteren Veranstaltungen ein. Die Diskussionenen mündeten in dem vor anderthalb Jahren bekannt gewordenen Entschluss, die Schulen selbst mit der Koordinierung der Einführung zu beauftragen. Ein Entschluss, hinter dem wir als LSA standen, welchen wir jedoch auch als kritisch bewerteten, da dies durchaus eine Abwälzung und von Grundkonflikten von Landes- auf Schulebene bedeutete. Vor allem beziehen wir uns dabei auf den Konflikt der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer und ihrer Verbände, welche versuchten, ihr Interesse an Wahrung oder Aufwuchs Ihrer Wochenstunden gegeneinander durchzusetzen. Dennoch glauben wir aus unserer Perspektive als Schüler*innenvertretung, dass dieser Kompromiss zielführender ist als die Einführung einer zusätzlichen Schulstunde. Diese Option hatten wir ursprünglich in unsere Umsetzungsvorschläge aufgenommen, um die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens zu verdeutlichen.

Eigeneinschätzung der Initiative

Unsere Initiative hat nun 9 Jahre an der Umsetzung ihres Ziels gearbeitet. Durch diese Langwierigkeit und aus Gesprächen mit verschiedenen Akteur*innen wurde uns gespiegelt, dass unsere Initiative in Zusammenarbeit mit dem Landesschüler*innennausschuss an der jetzigen Einführung von Politik keinen geringen Anteil hatte. Wir sind dankbar, dass uns, als ein Sprachrohr für Schüler*innen, die Möglichkeit geboten wurde, für nachkommender Schüler*innengenerationen Einfluss hin zu einer besseren politische Bildung zu nehmen – und zwar nicht nur in Bezug auf das „ob“, sondern auch auf das „wie“. Wir sind froh, ein Teil dieses großen, partizipativen Prozesses gewesen zu sein. Es wäre jedoch fehl am Platze, an dieser Stelle zu enden und bei der Reflexion dieses Erfolges lediglich von uns selbst zu sprechen. Viel mehr ist zu sagen:

Danke für die viele Unterstützung!

Zunächst einmal vielen Dank an alle Mitschüler*innen, Eltern und Familienmitglieder, die uns bei Veranstaltungen und im Alltag unterstützt und ermuntert haben, weiterzukämpfen! Besonders möchten wir uns außerdem bei vier weiteren Menschen und Menschengruppen bedanken, die über die Jahre unsere Arbeit begleiteten, stützten und ermöglichten.

Großer Dank gilt Prof. Achour von der FU-Berlin und der DVPB Berlin (Deutsche Vereinigung für Politische Bildung Berlin). Ohne sie wäre es uns nie gelungen, die durch unsere Befragungen erlangten Erkenntnisse und die daraus resultierende Forderung auch wissenschaftlich zu untermauern. Sie ermöglichten uns eine fundierte Argumentation gegenüber der Senatsverwaltung und der Politik. Auch hatten Sie für Anfragen des LSA zum Thema immer ein offenes Ohr.

Neben dem wissenschaftlichen Fundament, gilt der organisatorischen Hilfe ein ebensogroßer Dank. Ohne das Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf, besonders in Person von Janine Rittel, wäre es uns nie möglich gewesen, eine Basis für unser Engagement zu finden. Wir bedanken uns für diese Unterstuetzung aus tiefstem Herzen und freuen uns auf eine weitere enge Zusammenarbeit in anderen Bereichen.

Als dritte Säule bedanken wir uns bei den bildungspolitischen Sprecher*innen der Fraktionen der aktuellen und vorangegangenen Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus Berlin. Sie hatten am Rande von Bildungsausschussitzungen und Anderorts stets ein offenes Ohr für uns. Danke an diejenigen in der Koalitionsverhandlung, die die politische Bildung als zentralen Auftrag aufnahmen. Hier sticht der ehemalige Bildungspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Martin Delius, besonders hervor. Als erster stand er voll für unsere Initiative ein und stellte für uns im Bildungsausschuss eben jene Anfragen über die getrennte Benotung von Geschichte und Sozialkunde, auf die wir in den folgenden Jahren aufbauten .
Lieber Martin, aus ganzem Herzen vielen Dank dafür, dass Du eine Stimme für uns Schüler*innen warst.

Zuletzt gilt ein großer Dank Senatorin Sandra Scheeres, Staatssekretär a.D. Marc Rackles und der für Bildung zuständigen Senatsverwaltung. Danke für die höflichen, ehrlichen und fairen Gespräche auf Augenhöhe. Über die Jahre verstanden wir, dass manche doch wichtigen Projekte nicht von einen Tag auf den anderen umgesetzt werden konnten. Danke, dass Sie uns Schüler*innen, auch insbesondere dem LSA Berlin, die Möglichkeit gaben, dennoch kontinuierlich mitzuwirken. Vor allem auch Danke, dass Sie uns nie auswichen oder unser Anliegen einfach an zuständige Sachbearbeiter*innen weiterleiteten. Für Sie war unser Ziel Chef*innensache und das merkten wir auch.

Abschließend ist noch zu wiederholen: Toll, dass es jetzt Politik als Schulfach gibt. Dies ist ein großer, wenngleich einer von vielen geleisteten und noch zu leistenden Schritten für die Berliner Schulen in Richtung einer Schulkultur, die die Demokratie wahrhaft und bestmöglich vermittelt und lebt.

Wie geht es weiter?
Die (ehemaligen) Mitglieder gehen nun getrennte Wege. Viele von uns studieren oder sind mit der beruflichen Ausbildung (Ausbildung/Studium) sogar fertig und sind froh ein Teil von Politik als Schulfach gewesen zu sein. An der dynamischen Verbesserung der demokratischen Teilhabe engagieren wir uns fortan auch an anderen Stellen. Dennoch wird bei Bedarf die Geschichte der Initiative gern in Vortrags- oder Workshopform durch ehemalige Mitglieder vorgestellt. Dazu einfach eine Mail an mail@franzkloth.de“

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